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OP am offenen Herzen

// Wie Lehrerinnen und Lehrer in Vorpommern mit der Inklusion allein gelassen werden - Im Rahmen ihrer Tour „GEW in Bildung unterwegs“, machte GEW-Vorsitzende Marlis Tepe Mitte Mai in MV Station. Sie besuchte die "Grundschule Ueckertal" in Pasewalk. Was die Kolleginnen und Kollegen von vor Ort berichteten schildern wir euch hier. //

GEW-Vorsitzende Marlis Tepe hospitierte im Unterricht und sprach mit Kolleginnen und Kollegen über deren Arbeitssituation.

Inklusion in Mecklenburg-Vorpommern ist wie eine Operation am offenen Herzen und die Weiterbildung dazu findet am OP-Tisch statt. Zack! Das saß. Torsten Beilke, der Vorsitzende des Regionalverbandes Uecker-Randow sprach aus, was alle dachten.

Anlass war der Besuch der GEW-Vorsitzenden Marlis Tepe in der „Grundschule Ueckertal“ in Pasewalk, der Mitte Mai stattgefunden hat. Im Rahmen ihrer Tour „GEW in Bildung unterwegs“, machte die Gewerkschaftsvorsitzende auch in MV Station. Mit dabei waren die Landesvorsitzende Annett Lindner, die Integrationsbeauftragte des Landes, Miriam Haferkamp, Schulrat Olaf Schröder vom Schulamt Greifswald, der stellvertretende Bürgermeister und Bauamtsleiter der Stadt Pasewalk, Marko Schmidt, und die Landtagsabgeordnete Mignon Schwenke von der Partei Die Linke.

Maßgeblich mit vorbereitet wurde diese Veranstaltung von der Kollegin Petra Jerke, die Vertrauensfrau vor Ort ist. Eine, die von sich sagte: „Bis vor zwei Jahren war ich einfach passives Mitglied in der Gewerkschaft. Mit dem Vertrauensleuteprojekt, das Fachreferentin Susanne Theilmann unter ihre Fittiche genommen hat, bin ich aktiv geworden. Und das habe ich im Vorfeld dieser Veranstaltung auch allen Kolleginnen und Kollegen gesagt, dass wir jetzt endlich laut werden müssen, denn so geht es nicht weiter“. Gastgeber war Schuldirektor Ralf Schwarz.

Der Lehrerkonferenzraum war gut gefüllt an diesem Freitagnachmittag im Mai. Aus Ueckermünde, Torgelow, Eggesin, Löcknitz und Pasewalk kamen die rund 25 Kolleginnen und Kollegen sowie Schulleitungen. Sie hatten sich dank der Unterstützung von Petra Jerke gut auf das Thema Inklusion und die Umsetzung in ihren Schulen vorbereitet. Sie nutzten die Gelegenheit, um sowohl der GEW als auch der Inklusionsbeauftragten des Landes Hausaufgaben mitzugeben. Einer der wichtigsten Wünsche: Den Beruf wieder attraktiver zu machen. Insbesondere wenn es darum geht in Zeiten des Fachkräftemangels Personal auch für Regionen wie Vorpommern zu gewinnen, seien auch Modelle unerlässlich, in denen die Lehrkräfte Zulagen oder andere Anreize erhalten, um sich dort niederzulassen.

Es ging auch um eine gerechte Bezahlung der Grundschullehrkräfte. So fragte eine Kollegin, wie viel Arbeit sie an der Grundschule weniger leisten müsse, wenn sie aufgrund ihrer Ausbildung nicht das gleiche Geld wie andere Lehrkräfte wert sei. Erst recht wenn man bedenkt, dass die meisten von ihnen solidarisch das Lehrerpersonalkonzept getragen hatten und dadurch später auch Einbußen in der Rente spüren werden. Der Altersdurchschnitt an den Schulen in der Region liegt durchweg um die 55 Jahre. Viele fragen sich, wie sie ob der hohen Arbeitsbelastung, die mit der Einführung der Inklusion noch einmal deutlich gestiegen ist, gesund die Rente erreichen sollen und fordern weniger Pflichtstunden beziehungsweise mehr Abminderungsstunden für Ältere.

Zur Inklusion waren die Pädagogen geteilter Meinung: Während die einen ihr, trotz aller Umsetzungsschwierigkeiten, positiv gegenüber stehen und die Gefahr sehen, dass der Begriff „verbrannt“ ist, finden andere Kolleginnen und Kollegen, dass Inklusion eben gerade nicht „eine Schule für alle“ bedeutet und sehen die Gefahr, dass leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler nicht die Förderung erhalten, die ihnen ebenfalls zusteht. Einig waren sich alle darin, dass es mit nur einem Pädagogen besonders schwer sei, allen Kindern gerecht zu werden, vor allem wenn mehrere Kinder mit dem Förderschwerpunkt Emotional-Soziale-Entwicklung in einer Klasse sind.

In diesem Zusammenhang forderten die Kolleginnen und Kollegen ein verbindliches Weiterbildungskonzept, das auch die in der Region ansonsten üblichen, langen Fahrtwege berücksichtigt. Es sei oft unzumutbar, dass nach fünf oder sechs Stunden Unterricht noch eine Weiterbildung stattfinde, für die man mindestens anderthalb Stunden einfache Fahrt in Kauf nehmen muss. Die Inklusionsbeauftragte des Landes, Miriam Haferkamp, machte deutlich, dass sich Schulen zusammen schließen könnten, um Weiterbildung als Lerngruppen vor Ort (oder im Nachbarort) zu erhalten. Sie bestätigte auch, dass in den kommenden Tagen der Ablauf der weiteren begleitenden Maßnahmen zur Umsetzung der Inklusion veröffentlicht werden soll. Die Vorsitzende Marlis Tepe hatte bereits 1989 eine solche „Operation am offenen Herzen“ in ihrer Lehrtätigkeit in Schleswig-Holstein selbst erfahren. „Wir mussten uns viel selbst erarbeiten“. Aber, so berichtete sie weiter: „Wir hatten Teamarbeit in der Klasse und Zeit für Absprachen miteinander. Schülerinnen und Schüler hatten je nach Förderschwerpunkt, Anspruch auf Doppelbesetzung in einer bestimmten Anzahl von Stunden“. Den jedoch gibt es in Mecklenburg-Vorpommern nicht. „Wir sind immer allein“, klang es traurig aus der Runde. So gibt es an der Haffgrundschule in Ückermünde nicht mal eine/n Schulsozialarbeiter/in oder eine andere Profession. Marlis Tepe bekräftigte unter dem Eindruck der, teils drastischen, Erfahrungsberichte die Forderungen der GEW im Rahmen der Initiative „Bildung. Weiter denken!“ . Zwischen 56 und 58 Milliarden Euro werden nach Einschätzung der GEW jährlich benötigt, um das Bildungssystem nachhaltig zu verbessern. Gleichzeitig legt die Gewerkschaft entsprechende Finanzierungskonzepte vor. Marlis Tepe erklärte außerdem, dass das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern aufgehoben werden muss, um die Mittel direkt an die Bildungseinrichtungen zu bringen. Sie machte außerdem deutlich, dass es zur Inklusion keine Alternative geben können. Deshalb müssen aus Sicht der GEW unter anderem kleinere Klassen finanziert werden (max. 20 Kinder, davon höchstens 4 mit besonderem Förderbedarf), multiprofessionelle Teams, Schulsozialarbeit (1:150) sowie Fort- und Weiterbildung, Vertretungsreserven und ausreichend Zeit für alle Tätigkeiten. Darüber hinaus fordert die GEW verbindliche Richtlinien für den Schulneu- und -umbau – unter Berücksichtigung der Notwendigkeiten einer inklusiv arbeitenden Schule. Die Landesvorsitzende Annett Lindner kritisierte einmal mehr, dass das Land in Sachen Inklusion bisher nicht aktiv mit der GEW zusammengearbeitet hat und signalisierte erneut den Gestaltungswillen der Gewerkschaft. Die Inklusionsbeauftragte des Landes, Miriam Haferkamp, sagte zum Abschluss der Veranstaltung eine künftige Mitarbeit der GEW MV in den gebildeten Arbeitsgruppen zur Umsetzung der Inklusion zu. Dieses positive Signal, so stellte Annett Lindner im Anschluss fest, verdanke man auch dem Mut, mit dem die Kolleginnen und Kollegen ein eindringliches Bild aus der Praxis gezeichnet haben.

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