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Auch wir haben Familien!

Wenn das Fass zum Überlauf gerät, dann ist in diesen Tagen mit einiger Sicherheit eine Verbindung zur Corona-Pandemie herzustellen. Eine Erzieherin machte sich bei der GEW M-V Luft darüber, wie aus ihrer Sicht Erzieher*innen in diesen Zeiten nicht gesehen und nicht gehört werden. In Absprache mit ihr haben wir uns entschieden, diese Nachricht anonymisiert zu veröffentlichen. Denn sie bat uns: Gebt uns Gehör!

Symbolfoto (Winkler/GEW MV)

Ich wende mich an Sie, weil ich politische Äußerungen nicht mehr hinnehmen kann und will. Und der Kommentar eines Landrates in einer Tageszeitung hat mein persönliches Fass zum Überlaufen gebracht.

Vorweg: Ich bin Erzieherin (39) eines freien Trägers. 

Nach Meinung dieses Landrates stünde ausreichend Personal bei einem Bruchteil der zu betreuenden Kinder zur Verfügung, denn an die Träger würde zu 100 Prozent gezahlt.

Diese Argumentation ist völlig unschlüssig und nahezu dumm. Offensichtlich hat der Landrat keine Vorstellung davon, wie wir derzeit arbeiten und wie wir unabhängig von Corona- Zeiten arbeiteten.

Aktuell sind in unserer Einrichtung alle verfügbaren Kräfte zum Dienst eingeteilt. Wenn KollegInnen krankheits-, urlaubsbedingt ausfallen, müsste eine(r) in der jeweiligen Gruppe den Dienst eines ganzen Tages abdecken. Nun ist es aber so, dass wir keine Flaschen in Regale stellen, sondern kleine Kinderseelen betreuen, die es zum Teil in ihrer Häuslichkeit schwer haben.

Ich habe Respekt vor allen, die gerade ihre(n) Frau/ Mann stehen. Und ich will auch keine Wertigkeit der unterschiedlichen Berufsgruppen kundtun. Aber wir haben einen pädagogischen Auftrag, den wir ernst nehmen und den auch ein Virus nicht aushebelt. Es ist gerade auch in diesen besonderen Zeiten wichtig, dass wir unseren Job gut machen und nicht zu Auffangstationen mutieren. Auch Sozialministerin Dreese argumentierte für mich nicht nachvollziehbar: Im Hinblick auf das Ansteckungsrisiko, insbesondere in Krippen, äußerte sie, es sei nicht erwiesen, dass anders als über Tröpfchen eine Infektionsgefahr nicht bestünde. Das ist aber doch gar nicht der Punkt. In den Krippen haben wir eine unheimliche körperliche Nähe zu Kindern, die unumgänglich ist. Oder ist Frau Dreese etwa der Überzeugung, nur die übergebenden Eltern können uns anstecken? Auch Frau Dreese empfehle ich ein Praktikum in einer Kindertagesstätte.

Ich bin derzeit im Bereich des Kindergartens eingesetzt. Und auch dort sind die Abstände nur bedingt einzuhalten. Gestern war ich mehr damit beschäftigt, vor den Kindern zurückzuweichen, als eine Geschichte vorzulesen... Nur ein Beispiel von vielen. Und natürlich tröste ich Kinder auch mit körperlicher Nähe, wenn sie dieser bedürfen! Gerade in unser Berufszweig ist meines Erachtens dazu prädestiniert, Infektionsketten (wieder) in Gang zu setzen. Daher finde ich es sehr bedenklich, dass Politik und Gesellschaft so schnell so vorstoßen und die Betreuung immer weiter und rasant ausgeweitet wird. Ich appelliere, dies mit Weitsicht zu tun und mit gegenseitiger Rücksichtnahme: Politik, Eltern und deren Arbeitgeber sollten darauf bedacht sein, eine Betreuung nur ins Auge zu fassen, wenn diese in der Häuslichkeit wirklich nicht anders zu gewährleisten ist.

Auch wir sind Menschen und Teil dieser Gesellschaft... Auch wir haben Familien... Auch bei uns arbeiten KollegInnen mit Ehepartnern, die der Risikogruppe angehören... 

Ich bin unheimlich aufgebracht und weigere mich, es hinzunehmen, dass unsere Berufsgruppe in den Medien in einem Nebensatz nach dem Verkehrsfunk erwähnt wird!